Predigt am 21. März

Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt. Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon. Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen! Warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch? Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen!

Aber ich weiß, dass mein Erlöser lebt, und als der Letzte wird er über dem Staub sich erheben. Nachdem meine Haut noch so zerschlagen ist, werde ich doch ohne meine Fleisch Gott sehen. Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen und kein Fremder. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.                     ( Hiob 19, 19 – 27)

Liebe Gemeinde,

ein kleiner, dunkler, aber gemütlicher Raum. Das Fenster eröffnet den Blick auf den überfrorenen Garten, in dem hohe Bäume ihre kahlen Äste dem Himmel entgegenstrecken. Vor dem Fenster steht ein schwerer Schreibtisch aus dunklem Holz, dahinter ein alter Stuhl mit zerschlissenem Polster. Mitten auf dem Schreibtisch liegt ein aufgeschlagenes Tagebuch. Durch das offene Fenster weht ein kalter Wind und blättert einzelne Seiten um:

3. März                                       Verlassen

Gott, ich bin einsam geworden: Am Anfang nahmen meine Familie und Freunde Anteil, sie waren mit betroffen. Es gab viele Gespräche, Mitleid und Trost. „Du schaffst das, sei stark, wir stehen dir bei“, habe ich gehört. Doch schon bald wurde daraus: „Reiß dich zusammen, so schlimm ist das doch nicht.“ „Du bist ein Stückweit auch selbst schuld.“ Und ich kann es sogar verstehen. Ich ertrage mich ja selbst nicht mehr, ich habe alle Geduld mit mir verloren. Ich zweifle an mir selbst. Wie soll ich erwarten, dass meine Freunde und Freundinnen mich ertragen? „Alle meine Getreuen verabscheuen mich, und die ich lieb hatte, haben sich gegen mich gewandt.“ ( Hiob 19,19) Ich wünsche mir so sehr, dass mich jemand versteht und mir beisteht, aber zugleich ertrage ich niemand anderen, vor allem nicht diejenigen, denen es so gut geht, die stark sind und gut reden haben. Ich will mich anstrengen und zusammen reißen, aber je mehr ich es versuche, desto schlimmer wird es. Ich sehe keinen Ausweg. Alle Wege und Möglichkeiten sind mir genommen. Ich habe keine Perspektive mehr, keine Hoffnung, dass etwas anders oder besser wird. Am liebsten würde ich mich verkriechen, die Decke über mich ziehen, einfach im Dunkel liegen bleiben und nicht mehr aufstehen müssen. Mir fehlt die Kraft. Früher habe ich gern gekocht und ein gutes Essen genossen. Jetzt fällt es mir schon schwer zu entscheiden, was ich einkaufen soll. Die Vorstellung, mich in die Küche zu stellen, ist absurd. Weder habe ich die Kraft dazu, noch sehe ich einen Sinn darin. Am Ende wird alles fad sein und ohne Geschmack. Essen ist für mich eine Anstrengung geworden, eine Qual. Genießen habe ich verlernt. „Mein Gebein hängt nur noch an Haut und Fleisch, und nur das nackte Leben brachte ich davon.“ (Hiob 19, 20) Was soll das alles noch? Was bringt mir mein nacktes Leben, wenn es sich so anfühlt?

10. März                                       Wut

Gott, warum tust du mir das an? Das ist ungerecht. Das ist eine schlimmere Strafe, als ich jemals verdient habe. Das ist mehr, als ich ertragen kann. Du hast mich zerbrochen, mir jede Hoffnung aus meinem Herzen gerissen. Du hast meinen Geist verdunkelt, Kälte durchdringt meinen Körper und meine Seele. Schon so lang halte ich das aus. Ich dachte, es hätte einen Sinn, es sei dein guter Plan mit mir. Aber jetzt ist es genug. Ich kann nicht mehr. Ich habe dich immer verteidigt vor all denen, die deine Existenz bezweifelten, oder deine Allmacht oder deine Güte. Ich stand immer auf deiner Seite – aber du? Du bist gegen mich. Du kämpfst gegen mich mit Waffen, gegen die ich machtlos bin. „Erbarmt euch über mich, erbarmt euch, ihr meine Freunde; denn die Hand Gottes hat mich getroffen!“ (Hiob19,21) Bin ich selbst schuld? Habe ich Fehler gemacht? Habe ich Weichen in meinem Leben falsch gestellt? Und wenn ja – diese Strafe ist zu hart und ungerecht! Oh meine Freunde, „warum verfolgt ihr mich wie Gott und könnt nicht satt werden von meinem Fleisch?“ (Hiob 19,22) Warum gebt ihr mir auch die Schuld an all dem und steht mir nicht einfach bei? Warum stellt ihr euch über mich und straft mich auch noch mit Verachtung? Tut ihr das, weil ihr mir auch nicht helfen könnt?

17. März                                      Sinn

Gott, welchen Sinn hat das? Bin ich zu klein, um den Sinn zu erkennen? Werde ich ihn später erkennen, vielleicht erst am Ende meines Lebens oder danach? Es gibt so viel Leid in dieser Welt. Wie sähe eine Welt ohne Leid aus? Wüssten wir dann überhaupt, was Glück ist? „Ach dass meine Reden aufgeschrieben würden! Ach dass sie aufgezeichnet würden als Inschrift, mit einem eisernen Griffel und mit Blei für immer in einen Felsen gehauen!“ (Hiob 19,23 f) Dann würde jeder sehen: Ich war hier. Dann wird mein Elend mich überdauern und vielleicht mein Leben eines Tages zum Sinn für jemand anderen werden. Vielleicht wird jemand meine Worte lesen und etwas daraus erkennen. Ach Gott, wenn du mir doch helfen würdest. Ach wenn du mir doch zu meinem Recht verhelfen würdest, mir zeigen würdest, dass du an meiner Seite stehst.

21. März                                     Verstehen

Gott, letzte Nacht lag ich lange wach, wie so oft in den vergangenen Monaten. Ich habe nachgedacht über dich. Deine Hand hat mich zuletzt geschlagen, aber ich erinnere mich auch an andere Zeiten, als du bei mir warst und mir so viel Schönes geschenkt hast, so viel Freude, Glück und Liebe, so vieles, was ich sehen und genießen konnte. Du willst doch, dass ich lebe. Vielleicht ist in dir beides: Glück und Leid, Freude und Traurigkeit, Licht und Dunkel, Tod und Leben. Du mutest mir nicht nur so viel zu, sondern du bist auch derjenige, der mir seine Hand entgegenstreckt, der für mich aufsteht und kämpft, der mir aufhilft aus dem Staub. Du siehst mich doch an. Du hast Erbarmen mit mir, vergibst mir, rechnest mir meine Schuld nicht an. Du liebst mich wie ein Kind. Unter Tränen sage ich: „Ich weiß, dass mein Erlöser lebt und als der Letzte wird er über den Staub sich erheben.“ (Hiob 19,25) Tod und Leid werden nicht das letzte Wort behalten. Gott wird mir Recht verschaffen, denn er weiß, was es bedeutet, Leid zu tragen. Er leidet mit mir, er fühlt mit mir. Er ist durch Leid und Tod hindurchgegangen. Er wird auch mich durch Leid und Tod hindurchziehen. Darauf vertraue ich ganz fest. Ich werde ihn sehen im Leben – und im Sterben. „Ich selbst werde ihn sehen, meine Augen werden ihn schauen. Danach sehnt sich mein Herz in meiner Brust.“ (Hiob 19, 27) Und ich erkenne: Da sind doch viele, die du, Gott, an meine Seite stellst – anders als bei Hiob.                    

Amen.


Die Predigt ist auch zu hören unter der Tel.nr. 06441/445715.

Katechumenenunterricht findet donnerstags um 17:15 Uhr auf Skype statt.

Kollekte: Wer eine Kollekte geben möchte, kann sie in einen Umschlag legen und in den Briefkasten am Gemeindebüro werfen. Sie ist bestimmt für Tikato.


Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag, 

Ihre Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht