Predigt am 11. April 2021

Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.   (Johannes 21, 4)

Liebe Gemeinde,

dieses Wort – ein einfacher Hinweis, so scheint es, und es braucht den Zusammenhang, um zu verstehen, warum der Satz Bedeutung hat. Aber vielleicht ahnen Sie, dass mehr dahinter ist, als die einzelnen Wörter sagen. So ist es mit der ganzen Geschichte überhaupt. Hinter dem, was im Vordergrund erzählt wird, scheint anderes durch. Erste Erfahrungen der jungen Christenheit werden sichtbar, Schicksale von Menschen zeichnen sich ab, Mühsal und Vergeblichkeit tauchen wie dunkle Schatten auf, Sehnsucht und Hoffnung, Fragen und Verstummen gibt es – und Antwort auch. Antwort der Zuversicht und des Trostes, des Nachhause-kommens – so eben, wie der Satz klingt nach vergeblicher Nacht: „Als es schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Sie können die Geschichte in Johannes 21, 1-14 nachlesen.

Eine Ostergeschichte am See, an dem Ort, an dem so viel geschehen ist. Hier hat Jesus Kranke geheilt, Verzweifelte aufgerichtet, hier hat er die Leidtragenden selig gepriesen und die, die geistlich arm sind. Hier hat er die Menge gespeist, hier hat er seine Jünger gefunden und wie oft mögen sie miteinander hinausgefahren sein auf den See in ihren Booten. Es ist wohl nicht schwer, sich vorzustellen, dass die Jünger an diesen Ort zurückgekehrt sind aus Jerusalem. Nach Ostern: die Erfahrung des Verlassenseins, des Todes und der Auferstehung – und nun die Rückkehr in ihren Alltag. Weißt du noch, so mögen sie einander fragen, wie die Menge sich am Ufer drängte und für Jesus nur noch Platz war auf dem Schifflein im Wasser? Weißt du noch? Aber das ist vergangen. Und es scheint so, als habe sich unter den Jüngern die übrig geblieben sind, dieses Vergangene eher wie eine Last auf die Seele gelegt. Lässt es sich noch einmal zurückholen?  Da steht Simon Petrus auf, der, der Untätig- sein am wenigsten aushält, und sagt zu den Freunden: Also ich gehe jetzt fischen. Und die anderen mögen erleichtert geantwortet haben: Dann gehen wir mit. So stiegen sie in das Boot, aber in dieser Nacht fingen sie nichts.

„In dieser Nacht fingen sie nichts.“ Fast möchte man sagen, das passt so ganz dazu. Es konnte gar nicht anders sein. Dabei haben die erfahrenen Fischer keinen Fehler gemacht. Wie sonst auch haben sie ihre Netze ausgeworfen, aber die Mühe ist vergeblich. Liegt es nicht vielmehr an ihnen selber, dass das Glück sie verlassen hat? Es ist dieselbe Handbewegung, dieselben Worte, aber alles geht ins Leere. Ob etwas vergeblich oder nichtvergeblich ist, ist schon entschieden, bevor einer anfängt und ins Boot steigt.

„In dieser Nacht fingen sie nichts.“ Vielleicht kennen wir das – die Erfahrung einer vergeblichen Nacht, eines vergeblichen Tages. Wer das nicht kennt, dem fehlt etwas in seinem Leben. Es ist wie eine noch nicht gefundene Dimension, eine Tiefe, die fehlt. Keinen Mangel kennen, kann auch ein Mangel sein. Wem alles gelingt, dem ist merkwürdigerweise etwas ganz Wesentliches vorenthalten. Die vergeblichen Nächte und die vergeblichen Tage gehören zum Leben. Und es kann sein, dass wir leichter und barmherziger miteinander umgehen, wenn wir es uns selber eingestehen und einander eingestehen. Denn wer nur Glück hat, kann ein harter Mensch werden, und wem alles gelingt, bei dem ist wenig Raum für andere.

Aber die Erfahrung der vergeblichen Tage und Nächte bringen nicht nur Reife in unser Leben, sondern stellen uns manchmal auch vor einen Abgrund. Da kommen Zweifel und Ängste: Warum und wie lange? Da zählt einer bangen Herzens die Stunden bis zum Morgengrauen und weiß, der Tag wird seine Last haben, noch ehe er beginnt. Da fragt sich die Mutter, was ist geblieben von dem Glück der ersten Schritte mit meinem Kind. Jetzt geht es fort, allein, und ganz anders, als sie es sich gewünscht hat, und braucht niemand mehr, will ihre Hilfe nicht. Da sucht einer ein Zuhause, eine Heimat und findet sie nicht. Es ist so schwer, Anerkennung zu bekommen und dazuzugehören in einem fremden Land. Da sucht jemand Sicherheit und Ruhe in seinem Leben und stellt fest: Trotz aller Bemühungen werde ich diese nicht finden, da gibt es immer neue Herausforderungen.

„Und in dieser Nacht fingen sie nichts. Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ In manchen Bibelübersetzungen steht: „da trat Jesus ans Ufer.“ Mir ist hier die Luther- Übersetzung lieber, denn man hat das Empfinden, dort ist er, der Herr, am Ufer schon lange gewesen. Die Jünger meinten, sie seien allein, als sie ins Schiff traten, sie seien allein, als sie heimkehrten – aber in Wirklichkeit hatte er alles vor Augen und war immer dabei. Das macht einen Unterschied, ob jemand denkt: Ich bin allein. Oder ob er weiß: Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer. Eine Nacht, von der man das weiß, ist anders, ein Tag, von dem man ahnt, dort steht er am Ufer, ist anders. Vielleicht ist auch einmal die letzte Nacht, die jeder vor sich hat und durchschreiten muss, die Nacht des Todes, anders, wenn einer weiß, wenn´s Morgen ist, steht Jesus am Ufer. Gewiss ist sie anders.

Unsere Geschichte ist eine Ostergeschichte, das heißt: Sie redet von Leben und Tod, und sie wendet die Reihenfolge um, die uns in unserem zerbrechlichen Leben so unabänderlich erscheint. Nicht Leben und Tod – Tod und Leben heißt es nun, seit der Herr auferstanden ist. Nicht Bangen und Vergeblichkeit stehen am Ende, Müdesein und leere Hände – nein, leere Hände und manche vergebliche Mühe gewiss, und doch Hoffnung und ein neuer Beginn unter Gottes Angesicht. „Als es schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“

Und nun folgt in unserer Geschichte nichts anderes, als dass sie zeigt, was dieser Satz bedeutet: Da ist die fürsorgliche Frage des Herrn: „Habt ihr nichts zu essen?“ Da ist der wunderbare Fischfang: 153 Fische. 153 verschiedene Fischarten waren damals bekannt, so als ob gesagt werden sollte, die ganze Welt wird erreicht durch das, was die Jünger im Namen Jesu tun. Da ist das Mahl, bereitet am wärmenden Feuer, Wärme, Nähe, Gemeinschaft, ein Mahl mit allem, was dazugehört. Satt werden wird man vor Gottes Angesicht, und die Fülle des Lebens bietet er an. Und da ist vor allem auch mit dem stummen Verzicht auf Erklärungen das Ende aller Rätsel angedeutet, der schöne Tag, von dem es bei Johannes heißt: „Und an dem Tag werdet ihr mich nichts mehr fragen.“ (Joh.16,23)

„Als es aber schon Morgen war, stand Jesus am Ufer.“ Was braucht es mehr für uns, als dass wir das erkennen? Was braucht es mehr für Tage und Nächte in unserer zerbrechlichen Welt?                                   

Amen

Die Predigt ist auch zu hören unter der Tel.nr.:  06441/445715.

Angesichts der aktuellen Coronalage finden leider weiterhin keine Gottesdienste und Veranstaltungen in der Kirche statt.

Katechumenenunterricht findet nach den Ferien wieder statt.

Kollekte: Wer eine Kollekte geben möchte, kann sie in einen Umschlag legen und in den Briefkasten am Gemeindebüro werfen. Sie ist bestimmt für Versöhnungs- und Menschenrechtsarbeit der Ev. Kirche im Rheinland.

Ich wünsche Ihnen einen gesegneten Sonntag!

Ihre Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht