Predigt am 03. Mai

Liebe Gemeinde,

Das süße kleine Kind, das bisher immer alle anstrahlte, von Arm zu Arm gereicht wurde und sich von allen kitzeln und necken ließ, verzieht auf einmal das Gesicht, wenn die Tante es hochhebt. Es windet sich, als wolle es verschwinden, wenn es von Fremden angelacht wird. Es schreit und schreit, wenn der Opa auf es aufpassen soll. Erst wenn die Mutter kommt, ist alles wieder gut. Diese Phase ist anstrengend. Die Mutter hat keine ruhige Minute mehr. Das Kind will nur noch bei ihr sein, möglichst nah und eigentlich immer. Aber Kinder, die fremdeln, haben etwas ganz Wichtiges gelernt, etwas Überlebenswichtiges und Entscheidendes: Sie wissen, wohin sie gehören. Auf dem Arm der Mutter oder des Vaters weiß es: Hier bin ich richtig, hier ist mein Platz und mein Zuhause. Es weiß: Hier werde ich geliebt und versorgt. Hier bekomme ich alles, was ich brauche.

Und wenn das Kind auf einen anderen Arm genommen wird, dann fühlt es sich verloren, abgeschnitten von allem Lebensnotwendigem. Es schreit: „Bleibe bei mir! Lass mich nicht allein!“

Vom „Bleiben“ handelt auch unser heutiger Predigttext. Jesus sagt: „Bleibt in mir und ich in euch. Ich bin der Weinstock und ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht, denn ohne mich könnt ihr nichts tun.“

Ein Weinstock hat Wurzeln, einen Stamm, Ranken, Blätter, Blüten und Trauben. Die Nährstoffe, die durch die Wurzeln und Blätter aufgenommen werden, wandern durch die ganze Pflanze und versorgen alle Teile. Ein Weinbauer pflegt seinen Weinstock, er düngt und stutzt ihn, aber das Wachstum und Fruchtbringen kann er selber nicht bewirken. Er kann nur das unterstützen, was von allein geschieht.

Das, wonach ein kleines Kind in der „Fremdelphase“ schreit, bleibt ein Grundbedürfnis des Menschen ein Leben lang. Ich sehne mich nach Zugehörigkeit, einer beständigen Verbundenheit. Ich sehne mich danach zu

wissen, wohin ich gehöre. Ich sehne mich nach einem Zuhause. Der Ort, in dem ich lebe, die Wohnung, meine Familie und Freunde, meine Gemeinde, meine Arbeit, sie können mir das Gefühl geben, richtig zu sein und meinen Platz im Leben gefunden zu haben.

Aber ich bin keine Pflanze. Ich habe nicht solche Wurzeln wie ein Weinstock, die bis zu 15 Metern tief im Boden verankert sind und selbst bei großer Trockenheit noch Wasser finden. Mein Ort, mein Zuhause, mein Leben ist nicht fest und unverrückbar wie der Platz eines Weinstocks im Weinberg. Mit meiner Familie oder meinen Freunden bin ich nicht verwachsen. Das kann gut sein, neue Möglichkeiten und Räume öffnen, aber manchmal auch das Gefühl geben, haltlos zu sein. Meine Zugehörigkeit ist bedroht. Ich verliere meine Arbeit. Meine Familie zerbricht. Ich zerstreite mich mit Freunden. Ich muss meine Wohnung verlassen, manchmal noch am Ende meines Lebens. Das ist kein leichter Schritt. Meine Wurzeln und Versorgung werden abgeschnitten. Ich verdorre, habe Angst, weggeworfen zu werden. Ich sehne mich danach, dass jemand oder etwas bleibt. „Bleibe bei mir, lass mich nicht allein!“

In unsere Wurzellosigkeit, in die Bedrohung unserer Zugehörigkeit erzählt Jesus von einer anderen Wirklichkeit: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben.“ Ihr habt längst ein Zuhause, euren Platz. Ihr gehört zu mir. Hier werdet ihr versorgt, ganz gleich, was um euch herum geschieht, was sich auch verändert. Ich gebe euch Wurzeln und Heimat, denn ich habe euch lieb. Christus will uns Lebensfreude und die Fülle des Lebens schenken. Nicht zufällig wählt er das Bild des Weinstocks – Wein ist ein Zeichen für Lebensfreude und Genuss. Nicht zufällig ist das erste Wunder, von dem der Evangelist Johannes erzählt, dass Jesus Wasser in Wein verwandelte. Wir sollen am Ende unseres Lebens so wie Frau M. sagen können: „Mein Leben war schön – trotz allem Schweren ( und ich weiß, das war nicht wenig) – aber jetzt ist es genug.“                                                                                                               

Jesus sagt: „Bleibt in mir und ich werde in euch bleiben.“

An uns liegt es, in Christus zu bleiben, seine Worte zu hören und aufzunehmen, auf ihn zu blicken und uns von ihm beschenken zu lassen. Dann werden wir auch Frucht bringen. Das geschieht wie von selbst, weil wir weitergeben können und wollen, was wir empfangen. Ein Mensch, der sich von Gottes Liebe getragen weiß, begegnet anderen mit dieser Liebe. Ein Mensch, der seine Zugehörigkeit kennt, kann anderen Verbundenheit schenken. Es ist auch eine Frucht der Liebe zu bleiben, treu an der Seite eines Menschen zu bleiben, auch bei Menschen in Not, bei Menschen, die darum bitten, nicht allein gelassen zu werden. Es ist gut, dass die Seniorenheime jetzt wieder für Besucher geöffnet sind.

Die Verbundenheit mit Christus macht uns stark, Trennungen und Verluste zu überstehen und gute Früchte zu bringen.                                   

Amen.

Ich lade Sie ein, heute zwei Lieder zu singen: EG 406, 1-4 und EG 501, 1-4

406, 1: Bei dir Jesu will ich bleiben, stets in deinem Dienste stehn;

nichts soll mich von dir vertreiben, will auf deinen Wegen gehn.

Du bist meines Lebens Leben, meiner Seele Trieb und Kraft

wie der Weinstock seinen Reben zuströmt Kraft und Lebenssaft.

Mitteilung zur Kollekte:               

Die Kollekten im April erbrachten: 5. April: 35 €; 10. April: 20 €; 12. April: 65 €; 19. April: 30 €; 26. April: 20 €.  Herzlichen Dank!                               

Heute ist die Kollekte je zur Hälfte bestimmt für kirchliche Kinder- und Jugendarbeit und die Jugendarbeit unserer Gemeinde. Wer etwas geben möchte, kann das Geld in einen Umschlag legen und in den Briefkasten beim Gemeindebüro einwerfen. Danke!    

Wichtige Mitteilung für nächsten Sonntag, den 10. MaiAm kommenden Sonntag können wir den Gottesdienst wieder um 11.00 in unserer Kirche feiern. Die Renovierungsarbeiten sind abgeschlossen. Aber wir müssen Masken tragen und den Abstand von 2 m einhalten.   

Ich freue mich, Sie wiederzusehen!                          

Ihre Ellen Wehrenbrecht                 

Predigttext: Johannes 15, 1-8

1 »Ich bin der wahre Weinstock. Mein Vater ist der Weinbauer.

2 Er entfernt jede Rebe an mir, die keine Frucht trägt. Und er reinigt jede Rebe, die Frucht trägt, damit sie noch mehr Frucht bringt.

3 Ihr seid schon rein geworden durch das Wort, das ich euch verkündet habe.

4 Bleibt mit mir verbunden, dann bleibe auch ich mit euch verbunden. Eine Rebe kann aus sich selbst heraus keine Frucht tragen. Dazu muss sie mit dem Weinstock verbunden bleiben. So könnt auch ihr keine Frucht tragen, wenn ihr nicht mit mir verbunden bleibt.

Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer mit mir verbunden bleibt so wie ich mit ihm, bringt reiche Frucht. Denn ohne mich könnt ihr nichts erreichen.

6 Wer nicht mit mir verbunden bleibt, wird weggeworfen wie eine abgeschnittene Rebe und vertrocknet. Man sammelt das Abgeschnittene ein und wirft es ins Feuer, wo die Rebe verbrennt.

7 Wenn ihr mit mir verbunden bleibt und meine Worte im Innersten bewahrt, dann gilt: Was immer ihr wollt, darum bittet – und eure Bitte wird erfüllt werden.

8 Die Herrlichkeit meines Vaters wird darin sichtbar, dass ihr viel Frucht bringt und euch als meine Jünger erweist.«