Karfreitag Predigt 2021

Das stellvertretende Leiden und die Herrlichkeit des Knechtes Gottes

Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war so verachtet, dass man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts geachtet. Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unsrer Missetat willen verwundet und um unsrer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt. Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der Herr warf unser aller Sünde auf ihn. Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm, das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf.

Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben. (Jesaja 53, 3-7+11)

Liebe Gemeinde,

die Mutter muss lächeln, als sie ihren Sohn da so auf dem Sofa liegen sieht, unter der Decke auf dem Platz, auf dem sie sonst immer liegt. Und der Junge trägt auch ihre Pudelmütze, die sie sonst immer trägt, weil sie seit der letzten Chemotherapie keine Haare mehr hat. Es ist traurig, dass sie ihre schönen langen Haare verloren hat, aber es ist noch trauriger, dass sie nicht mehr lange auf dieser Erde und bei ihrer Familie leben darf. So vermuten es jedenfalls die Ärzte. Es ist ein Krebs ohne Chancen auf Heilung. Aber über diesen jungen Mann da auf dem Sofa muss sie lächeln. Ja, er ist wirklich bei ihr, steckt mit unter ihrer Decke, trägt ihre Mütze. Er schämt sich keineswegs dafür. Er schämt sich nicht für ihre Krankheit. Er ist ihr wirklich nah, das sieht sie, das fühlt sie.

„Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.“, so heißt es von dem Gottesknecht, von dem Jesaja diese unglaublichen Dinge erzählt, dass er zu Unrecht verachtet wurde und doch unsere Schmach und Schuld trug. Aber vielleicht können wir, wenn wir diesen Knecht Gottes ansehen, ihn in unserer Krankheit, in unseren Schmerzen  und auch mit unserer Schuld beladen sehen. Er steckt mit uns unter einer Decke, er hat unsere Mütze auf dem Kopf, mit der wir unser Elend bedecken wollen. Vielleicht bringt uns das zum Lächeln, denn da ist jemand, der uns ganz nah ist, uns begleitet in unserem Leid.

Das kann nicht jeder, andere durch die Tiefen des Lebens begleiten. Viele wenden sich ab, erschrecken und wollen damit nichts zu tun haben. Aber er, dieser Gottesknecht, steigt hinab in unsere Not und auch in unsere Schuld. Das ist unfassbar und unglaublich. Wir erleben Menschen oft in ihrem Bestreben, nach oben zu kommen. Sie wollen alle Lasten abwerfen, vorwärtskommen. Sie eilen an denen vorbei, die nicht mitkommen. Glücklich machen sie damit kaum jemanden. Aber hier ist einer, der ein Lächeln in unser Gesicht zaubern kann, weil er uns wirklich nahe ist, auch an den Tagen, an denen wir uns verloren fühlen.

Wer ist dieser Gottesknecht, von dem Jesaja erzählt? Ob Jesaja einen Namen mit ihm verbinden konnte, wissen wir nicht. Wir als Christen erkennen Jesus in dem Knecht Gottes, der Gottes Auftrag so ganz und gar erfüllt, bis dahin, dass er sein Leben hingibt. Er trägt unsere Schuld und bezahlt dafür mit seinem Leben. In Israel war es damals üblich, am großen Versöhnungstag einen Ziegenbock in die Wüste zu schicken. Dieser Bock trug stellvertretend die Sünden des Volkes. Er schaffte die Sünden fort in die Wüste, schaffte sie sozusagen aus der Welt. Das gleiche tut Jesus. Er lädt sich unsere Sünden auf und schafft sie fort. Wie er sich unsere Krankheit und Schmerzen auflädt, so lädt er sich auch unsere Sünden auf und wir können ihn ansehen, wie er all dies trägt: unseren Jähzorn, unsere Trägheit, unseren Hochmut, unseren Egoismus, unsere Hartherzigkeit … Und wenn er sie für uns trägt, dann werden unsere Sünden auf einmal ansehbar. Und wir können vielleicht darüber lächeln. Es ist nichts mehr, was wir verbergen müssten, sondern was wir zugeben können.

Vieles, was man aus Liebe tut, fällt einem leicht – auch wenn es anderen schwer erscheint. So ist es dem Jungen leicht gefallen, die Mütze seiner Mutter aufzusetzen und ihren Platz auf dem Sofa einzunehmen. Es ist fast ein liebevoller Scherz, den er mit ihr macht, der ihr zeigt: Ich bin dir ganz nahe! Vieles mag auch Jesus leicht gefallen sein, was er für andere Menschen getan hat, aber sein Tod am Kreuz, das war schwer. Da hat sich seine Seele abgemüht, Verachtung, Spott, Gewalt, Ungerechtigkeit und die Blindheit seiner Gegner zu ertragen. Und doch bittet er am Kreuz auch für seine Feinde: „Vater, vergib ihnen; denn sie wissen nicht, was sie tun.“ (Lk.23,34) Er ist so weit gegangen, dass er körperlich am Ende war. Er hat Schmerzen, Qualen, Durst ertragen. Er war am Ende so schwach, dass er starb. Auf der einen Seite würfelten Soldaten um seine Kleider, auf der anderen Seite erkannte ein römischer Hauptmann: „Wahrlich, dieser Mensch ist Gottes Sohn gewesen!“ (Mk.15,39). Die Liebe gab Jesus, dem Sohn Gottes, die Kraft, sein Leben für die Menschen hinzugeben, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren  gehen, sondern das ewige Leben haben. (Joh.3,16)

 Jesus hat uns ein anderes Bild von Gott gezeigt, nicht das eines mächtigen und erhabenen Gottes, sondern einen leidenden Gott, der unansehnlich ist und verachtet wird, der Krankheit, Schmerzen und Schuld trägt, der am Kreuz stirbt, schwach und am Ende seiner Kraft. Aber so bleibt Gott an unserer Seite. Im Abgrund sehe ich ihn mit mir sterben. Im Versagen sehe ich ihn neben mir versagen Im Unrecht sehe ich ihn mit mir im Unrecht. In der Krankheit und im Elend sehe ich ihn neben mir liegen. Wenn das aber so ist, dann ist mein Gott anders als ich fürchte – dann ist er mein Bruder. Wenn das so ist, dann ist mein Sterben anders, kein Scheitern, kein schreckliches Ende, sondern im Einklang mit seinem Sterben. Er nimmt mich mit durch den Tod hindurch. Der, der hinabgestiegen ist zu uns, der bringt uns Gewissheit im Sterben und für´s Leben: Du bist nicht allein! Wenn das so ist, dann ist auch mein Leben anders, dann kann das Streiten und Rechthaben aufhören, dann zählt die geschenkte Versöhnung und die Liebe.

Und wir hören Jesajas gute Botschaft heute am Karfreitag: „ Die Strafe liegt auf ihm, auf dass wir Frieden hätten und durch seine Wunden sind wir geheilt. Weil seine Seele sich abgemüht hat, wird er das Licht schauen und die Fülle haben.“  Amen

Die Predigt ist auch zu hören unter der Tel.nr.:  06441/445715.

Angesichts der aktuellen Coronalage finden leider weiterhin keine Gottesdienste in der Kirche statt, auch der Osterspaziergang zum Simberg fällt aus. Aber am Ostersonntag ist die Kirche von 9.30 -11.00 zum stillen Gebet geöffnet.

Katechumenenunterricht findet nach den Ferien wieder statt.

Kollekte: Wer eine Kollekte geben möchte, kann sie in einen Umschlag legen und in den Briefkasten am Gemeindebüro werfen. Sie ist bestimmt für Hilfe für Gefährdete für Obdachlose, Straffällige und die Suchthilfe.

Ich wünsche Ihnen einen stillen Karfreitag!

Ihre Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht