Auszeit-Andacht am 02. März

Und der König von Ägypten sprach zu den hebräischen Hebammen, von denen die eine Schifra hieß und die andere Pua: Wenn ihr den hebräischen Frauen helft, dann seht auf das Geschlecht. Wenn es ein Sohn ist, so tötet ihn; ist´s aber eine Tochter, so lasst sie leben. Aber die Hebammen fürchteten Gott und taten nicht, wie der König von Ägypten ihnen gesagt hatte, sondern ließen die Kinder leben. Da rief der König von Ägypten die Hebammen und sprach zu ihnen: Warum tut ihr das, dass ihr die Kinder leben lasst? Die Hebammen antworteten dem Pharao: Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen, denn sie sind kräftige Frauen. Ehe die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie geboren. Darum tat Gott den Hebammen Gutes.         ( 2. Mose 1, 15-20)

Liebe Auszeit – Menschen,

„Warum tut ihr das, dass ihr die Kinder leben lasst?“ Was für eine Frage, die der ägyptische Pharao den beiden hebräischen Hebammen Pua und Schifra stellt. Wer käme auf die Idee, kleine Kinder zu töten – noch dazu als Hebamme? Es ist doch ihre ureigene Aufgabe, Mutter und Kind dabei zu helfen, die Geburt so sicher wie möglich zu überstehen. Sie zieht das Neugeborene ans Licht der Welt. Sie legt es der Mutter an die Brust, damit es lebt! Damit es eine Zukunft hat,  damit es wächst und gedeiht. Wie könnte eine Hebamme – ganz egal ob ägyptisch oder hebräisch – also anders handeln, als die Kinder leben zu lassen, denen sie auf die Welt geholfen hat? Leider zeigt die Realität, dass moralische Grundfesten allzu leicht ausgehebelt werden können. Unfassbar schreckliche Beispiele kennen wir aus unserer eigenen Geschichte. Nie haben Hebammen bei uns mehr Achtung erfahren als in Nazi-deutschland, wo sie oft zu Handlangerinnen der „Selektion“ gemacht wurden.

Den Pharao treibt die Angst vor „Überfremdung“ seines Reiches um. Aufmerksam verfolgt er die Statistiken und vergleicht die ägyptische Geburtenrate mit wachsendem Unmut mit der der zugewanderten Hebräer. „Wirtschaftsflüchtlinge“ aus Kanaan waren sie einmal gewesen. Das ist lange her, so lange, dass selbst der Pharao vergessen hat, dass diese Hebräer von Josef abstammen. Jenem Josef, der einst Ägypten so weise vor der Hungersnot bewahrte.

Pua und Schifra haben wenig Spielraum. Aber sie nutzen ihn. Es ist sehr gefährlich, sich einem Gewaltherrscher zu widersetzen. Doch die beiden Hebammen sind mutig und schlau. „Die hebräischen Frauen sind nicht wie die ägyptischen“, antworten sie ihm, „denn sie sind kräftige Frauen. Ehe die Hebamme zu ihnen kommt, haben sie geboren.“ Die Hebammen packen den Pharao bei seinem eigenen rassistischen Vorurteil, Hebräerinnen seien so etwas wie wilde Barbaren. Der merkt gar nicht, was für einen Unsinn die beiden Frauen ihm da verkaufen.

Pua und Schifra lassen sich von ihrem Vertrauen auf Gott leiten. Vielleicht haben sie Psalm 22 vor Augen, in dem es so anrührend von Gott heißt: „Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen; du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter.“ Erstaunlich, wie Gottesfurcht und die Freiheit, selbst einem mächtigen Herrscher ins Gesicht zu lügen, hier zusammengehen. „Warum tut ihr das, dass ihr die Kinder leben lasst?“ Weil es unsere Aufgabe ist. Und weil unser Gott ein Gott des Lebens ist.

Ich erinnere mich an eine alte Dame aus Niedergirmes, die erzählte, dass sie als junge Frau bei der Firma Herkules in Wetzlar arbeitete. Dort waren damals auch russische Zwangsarbeiter beschäftigt. Es war streng verboten, Kontakt zu ihnen aufzunehmen. Aber diese junge Frau und ihre Freundin hatten beobachtet, dass einer von ihnen, ein vielleicht fünfzehnjähriger blasser, schmaler Junge, krank geworden war. Und von ihren Lebensmittelmarken kauften sie Brötchen und brachten sie dem Jungen in die Baracke, wo er untergebracht war. Er war furchtbar erschrocken, als er die beiden vor seiner Tür sah – und die Frauen erschraken, als sie sein Erschrecken bemerkten. Ihr Mitgefühl hätte sie das Leben kosten können, aber sie hatten Glück, dass sie unbemerkt blieben.

Wo ist heute von mir Haltung gefragt? Heute erzählen viele Flüchtlinge, die hier Asyl suchen, oft abenteuerliche Geschichten von Flucht, Elend und Bewahrung. Sie brauchen unser Mitgefühl, unsere Hilfe und Freundlichkeit, vielleicht gerade dann, wenn sie zu Unrecht wieder abgeschoben werden sollen – in ein Land, wo ihnen Folter und Tod drohen. Und viele andere Menschen, die in unserer Nachbarschaft leben, brauchen Hilfe zum Leben, zum Überleben. Wer sich von Mitgefühl und der Liebe Gottes leiten lässt, der findet Spielräume, um Leben zu bewahren, und hoffentlich auch den Mut und die Freiheit, um diese Spielräume zu nutzen.   

Amen


Psalm 22, 2-12

Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?                       

Ich schreie, aber meine Hilfe ist ferne.                                                       

Mein Gott, des Tages rufe ich, doch antwortest du nicht,                                 und des Nachts, doch finde ich keine Ruhe.                                                

Aber du bist heilig, der du thronst über den Lobgesängen Israels.

Unsere Väter hofften auf dich;                                                                         

und da sie hofften, halfst du ihnen  heraus.                                                     

Zu dir schrien sie und wurden errettet,                                                                sie hofften auf dich und wurden nicht zuschanden.                                               

Ich aber bin ein Wurm und kein Mensch,                                                             ein Spott der Leute und verachtet vom Volk.                                                 

Alle, die mich sehen, verspotten mich,                                                        sperren das Maul auf und schütteln den Kopf:                                                  „Er klage es dem Herrn, der helfe ihm heraus                                                     und rette ihn, hat er Gefallen an ihm.“

Du hast mich aus meiner Mutter Leibe gezogen;                                                   du ließest mich geborgen sein an der Brust meiner Mutter.                        

Auf dich bin ich geworfen von Mutterleib an,                                              

du bist mein Gott von meiner Mutter Schoß an.                                                 Sei nicht ferne von mir, denn Angst ist nahe;                                                

denn es ist hier kein Helfer.


Ich wünsche Ihnen einen schönen Tag, genießen Sie die Sonne,

Ihre Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht