Liebe Gemeinde,
nun erreichen Sie die Predigten wieder in Papierform im Briefkasten und auf unserer Homepage. Mir ist dabei auch schwer ums Herz und ich hoffe sehr, dass diese Einschränkung auf den Monat November beschränkt bleiben kann. Es ist nicht leicht, abzuwägen, ob es vernünftig und notwendig ist, auf Gottesdienste in der Kirche zu verzichten, um die Gefahr der Ansteckung auszuschließen und sich solidarisch zu zeigen mit anderen, die auch große Einschränkungen hinnehmen und ertragen müssen. In den Presbyterien beider Kirchengemeinden haben wir uns dafür entschieden, im November auf Präsenzgottesdienste zu verzichten.
Geplant war, eine Predigtreihe zu Texten aus der Offenbarung des Johannes zu halten. Heute ist das 13. Kapitel – überschrieben: „Die beiden Tiere“ – an der Reihe. „Hier ist Weisheit“ heißt es am Ende des Kapitels, „Wer Verstand hat, überlege …“ Der überlege auch, was diese Worte und Bilder bedeuten, die Johannes gebraucht. Denn es sind starke Worte, die es „in sich“ haben. Sie beinhalten Kritik an der bestehenden tyrannischen Herrschaft. Sie decken ihre Bosheit, ihre Verführungskunst, ihre Perfidität, aber auch ihre Vergänglichkeit auf. Nichts ist leichter als ein Wort, aber auch nichts ist stärker als ein Wort. Auf diesem Hintergrund entstanden Glaubensbekenntnisse und Bekenntnisschriften. Denn je eindeutiger die rechte Lehre schriftlich fixiert wurde, umso stärker wurde die Abwehr gegen die Mächte der Finsternis, des Irrglaubens und des Wahnsinns.
Die christlichen Gemeinden, an die Johannes seine Offenbarung richtet, wurden verfolgt, viele wurden ins Gefängnis gebracht und mit dem Schwert getötet ( V.10). Offen Kritik zu üben, war lebensgefährlich. So schreibt Johannes in Bildern. Er spricht von einem Drachen, der den beiden Tieren Macht verleiht. Mit dem Drachen ist wohl der Teufel gemeint, die Macht des Bösen und der Finsternis. Das erste Tier, das aus dem Meer kommt, könnte den römischen Staat meinen mit dem tyrannischen Kaiser Nero an der Spitze, das zweite Tier einen Provinzgouverneur. Die Offenbarung nennt keinen einzigen Herrschernamen, denn sie sind letztendlich unwichtig! Sie werden vergehen! 42 Monate, dreieinhalb Jahre – die Hälfte der heiligen Zahl sieben – wurde diesem Tier an Zeit zur Machtausübung gegeben, mehr nicht. Herrscher und Reiche stellt Johannes als Raubtiere dar, die nur fressen wollen, die wild und unbeherrschbar sind, voller Angriffslust. Dass sie mehrere
Köpfe haben, besagt, dass es sich um verschiedene Herrscher einer Dynastie handelt. Die Hörner sind Symbole für ihre Heere, mit denen sie kämpfen und Macht ausüben. Die Machthaber scheinen unverwundbar zu sein und prahlen mit ihrer Stärke. Sie lassen sich verehren und anbeten wie Götter. Solche Herrscher gab und gibt es bis in unsere jüngere Vergangenheit und Gegenwart hinein. So bleibt die Offenbarung aktuell in ihrer Kritik an jeglicher tyrannischen und selbstherrlichen Herrschaft und man könnte die Namen vieler Despoten einsetzen für die beiden Tiere.
Johannes, der Seher, beschreibt, dass die Tiere ein Maul haben, mit dem sie große Dinge reden und Lästerungen. Sie betreiben gefährliche Propaganda, durch die sie viele verführen und beeinflussen. Johannes erkennt die Hinterhältigkeit und Falschheit der Tiere. Ihre Macht und ihre Erfolge scheinen ihnen Recht zu geben, deshalb folgen ihnen so viele und tragen ihre Abzeichen und Embleme am Körper, aber der Prophet warnt davor, sich von ihnen täuschen zu lassen. Sie lästern Gott, wenn sie sich selbst verherrlichen und anbeten lassen. Sie lästern Gott, wenn sie andere Menschen unterdrücken, quälen und töten. Hier gilt es, sich abzugrenzen und „nein“ zu sagen. Hier gilt es, sich zu Gott zu bekennen und ihn allein anzubeten und zu verehren. Das tat die Barmer Synode als sie folgendes Bekenntnis formulierte:
„Jesus Christus spricht: Ihr wisst, dass die Herrscher ihre Völker niederhalten und die Mächtigen ihnen Gewalt antun. So soll es nicht sein unter euch; sondern wer unter euch groß sein will, der sei euer Diener. ( Mt. 20, 25+26)
Die verschiedenen Ämter in der Kirche begründen keine Herrschaft der einen über die anderen, sondern die Ausübung des der ganzen Gemeinde anvertrauten und befohlenen Dienstes. Wir verwerfen die falsche Lehre, als könne und dürfe sich die Kirche abseits von diesem Dienst besondere, mit Herrschaftsbefugnissen ausgestattete Führer geben und geben lassen.“
So wollen wir Gott bitten, dass er uns Weisheit und Verstand schenkt, über die Mächte und Herrscher unserer Welt und unserer Zeit zu urteilen. Er mache uns bereit zum Dienst am Nächsten und stärke unser Vertrauen in Gott. Seine Macht ist die Macht der Liebe. Amen
Ihre Pfarrerin Ellen Wehrenbrecht